Den estnischen Dirigenten Kristjan Järvi darf ich seit 2018 immer wieder bei seinen vielfältigen Projekten begleiten. Immer waren es Konzerte in verschiedenen Veranstaltungsorten – von der ausrangierten Kirche in Montreux am Genfer See bis zum Konzerthaus in Hong Kong. Klassische Musik interpretiert er frei, neu und mit besonderer Dynamik im Konzertsaal. Das Orchester spielt ohne Noten, aber mit allen Emotionen, die Musik transportieren kann.

Meelte Videvik lässt sich mit Dämmerung der Sinne übersetzen. Das Festival, das Järvi und sein Team in Estland veranstalten, sprengt alle Grenzen, die sonst gelten. Ein außergewöhnliches Musikfestival an der Ostsee, das immer kurz vor dem estnischen Unabhängigkeitstag stattfindet. Das Gelände öffnet um 18 Uhr, das Musikprogramm auf der Hauptbühne beginnt um 21 Uhr. Musik verschmilzt mit nordischer Mythologie, vom Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Zu Beginn wird ein musikalisch-szenisches Ritual aufgeführt, das die über 4000 Gäste symbolisch in die „Welt von Estoniia Muse“ einlädt – ein mythischer Geist, der für Kreativität, Naturverbundenheit und Inspiration steht.

Ein klassisches Line-Up mit festem Zeitplan gibt es nicht, die zahlreichen musikalischen Gäste lösen sich fließend ab und werden immer vom Nordic Pulse Ensemble begleitet, das die ganze Nacht bis zum Sonnenaufgang auf der Bühne steht. Eine beeindruckende musikalische Vielfalt, die einen tiefen Einblick in die estnische Musiklandschaft bietet und sich traumhaft mit der Natur ergänzt. Zugegeben, zwischendurch hätte ich gerne die ein oder andere Minute Schlaf gehabt. Aber spätestens der Sonnenaufgang war magisch und hat sich tief ins Gedächtnis eingebrannt. Ein einzigartiges Konzerterlebnis, das weder alltäglich, noch gewöhnlich ist.